THOMAS SANKARA
Nachrichten • Chronologie der Ereignisse • Ausgewählte Literatur •
Ouagadougou, août 2016 © Christophe Cupelin
• Burkina Faso : Ex-Präsident Sankara exhumiert
nzz.ch, David Signer, 26.5.2015
• Machtwechsel in Burkina Faso
Journ Africa, von Femi Akomolafe, Übersetzt von Tobias Koch, 22.12..2014
• Armee verspricht Demokratie : Burkina Fasos unvollendete Revolution
NZZ, Christian Putsch, Kapstadt, 4.11.2014
• Burkina Fasos Armee stellt sich hinter Zida
Basler Zeitung, (kpn/sda), 1.11.2014
• Das letzte bekannte Interview mit Thomas Sankara vom 6.10.1987
AfricAvenir, Inga Nagel, 1.11.2014
• Er nannte sich Präsident von Burkina Faso: Der Mörder von Thomas Sankara, Dabo Boukary und Norbert Zongo ist geflüchtet!
Labournet Germany, 1.11.2014
• Burkina Fasos Präsident nach 27 Jahren aus Amt gejagt
Die Welt, afp.com, 31.10.2014
• Burkina Faso : Präsident Compaoré tritt zurück
Blick, (sda), 31.10.2014
• Staatschef von Burkina Faso tritt abt
SRF, tagesschau, 31.10.2014
• Putsch in Burkina Faso : Armee entmachtet Regierung
ARD, tagesschau, 30.10.2014
"Blaise hau ab", Ouagadougou, 31.10.2014
• Der Sturz Compaorés : Frühling in Burkina Faso
nzz.ch, David Signer, 20.11.2014
Präsident Compaoré wird durch eine Erhebung aus dem Amt gejagt. Das ist selten im subsaharischen Afrika. Die Ereignisse in Ouagadougou sind eine Zäsur.
27 Jahre hat Blaise Compaoré das westafrikanische Land Burkina Faso mit eiserner Hand regiert. Aber es brauchte lediglich drei Tage, um ihn aus dem Amt zu fegen. Empörte Menschenmassen fluteten durch die Strassen der Hauptstadt Ouagadougou. Der Präsident hätte auf das eigene Volk schiessen lassen können. Er tat es nicht. Er, der kurz vorher noch die Verfassung ändern wollte, um ein weiteres Mandat zu ergattern, nahm den Hut und setzte sich mit seinen Nächsten ins Nachbarland Côte d'Ivoire ab.
Kaum Volksaufstände in Afrika
Es ist immer wieder erstaunlich, wie rasch festgefügte Ordnungen zusammenfallen können, trotz Armee, Polizei, Geheimdienst und tausend Sicherheitsdispositiven. Selbst den Anführern des Aufstands muss die Leichtigkeit des Umsturzes wie ein Traum vorgekommen sein. Blut wurde kaum vergossen. Als sich kurz nach Compaorés Abgang Oberst Zida zum neuen Staatschef ausrief, befürchteten viele, man komme vom Regen in die Traufe. Würde nun das autokratische Regime durch eine Militärdiktatur ersetzt? Aber die Angst war unbegründet. Alle wichtigen Gruppen setzten sich an den Tisch, einigten sich auf eine Übergangscharta und schliesslich auf den Diplomaten Michel Kafando als Übergangspräsidenten. Innerhalb von zwei Wochen hatte sich das Sahelland radikal verändert.
Die allgemeine Euphorie verführte viele dazu, Ende Oktober bereits den «schwarzen Frühling» auszurufen, in Anlehnung an den «arabischen Frühling». Tatsächlich gibt es in Afrika zahlreiche Präsidenten wie Compaoré, die sich unter dem Mäntelchen einer formalen Demokratie wie Könige gebärden. Vermutlich werden in den Präsidialgemächern in Yaoundé, Lomé, Harare, Luanda, Brazzaville, Bujumbura, Kinshasa und Kigali die Vorgänge in Ouagadougou mit Sorgenfalten beobachtet. Denn wie man nach der Jasminrevolution in Tunesien sah, sind Volkserhebungen ansteckend. Aber zugleich zeigte sich dann in den andern arabischen Ländern doch ihre Unterschiedlichkeit. In Syrien arteten die Demonstrationen zum Bürgerkrieg aus, während es in Marokko und Algerien ruhig blieb. Die Dominotheorie stimmt und stimmt nicht. Gleichzeitig wie in Ägypten wurde im Sommer 2011 auch in Senegal demonstriert, und zwar gegen die Versuche des damaligen Präsidenten Wade, sich eine dritte Amtszeit zu erschummeln. Schon damals hofften manche – umsonst – auf eine Fanalwirkung.
Unabhängig davon, ob der Funke der Revolution auf Nachbarländer überspringt oder nicht, sind die Ereignisse in Burkina Faso gerade wegen ihrer Aussergewöhnlichkeit interessant. Oft haben sich Politologen gefragt, warum es im subsaharischen Afrika im Gegensatz zu andern Regionen zwar zu Putschs, aber kaum zu Aufständen kommt. Burkina Faso ist diesbezüglich typisch: Compaoré erlangte die Macht, indem er 1987 den charismatischen Thomas Sankara aus dem Amt putschte. Oft wird behauptet, Oberst Sankara sei durch eine linke Revolution Staatschef geworden. Aber auch er kam durch einen Staatsstreich an die Macht.
Möglicherweise hängt das mangelnde Aufbegehren der Bevölkerung gerade mit dem verbreiteten Elend zusammen. Auf die Barrikaden steigen meist nicht die ungebildeten Ärmsten, die ums tägliche Überleben kämpfen, sondern diejenigen, die etwas zu verteidigen und zu verlieren haben, zum Beispiel Studenten oder junge Angehörige der Mittelschicht mit mangelnder Perspektive. Zudem ist in Ländern mit einer blutigen Vergangenheit wie Rwanda, Kongo-Kinshasa oder Algerien die Angst vor neuer Gewalt oft grösser als die alltägliche Frustration. Lieber einen deprimierenden Status quo als Bürgerkrieg, sagen sich die Einwohner.
Das Charisma der Macht
Gerade in der postkolonialen Periode – die in vielen Ländern Afrikas fortdauert – konnten viele Machthaber vom eigenen Versagen ablenken, indem sie andere für die Misere verantwortlich machten. Mugabe ist bis heute geradezu eine Karikatur dieser Art Despoten, die unermüdlich neokoloniale Sündenböcke identifizieren. Wenn das nicht geht, werden ethnische Ressentiment geschürt. Typischerweise spielt Ethnizität sowohl in Burkina Faso wie in Senegal kaum eine Rolle in der Politik.
Entgegen dem Anschein sind die subsaharischen Gesellschaften oft hierarchisch, gerontokratisch, patriarchalisch und autoritär geprägt. Der «big man» legitimiert sich per se, dadurch, dass er eben die Herrschaft innehat. Wäre er nicht «stark», wäre er nicht dort, wo er ist. Darin drückt sich ein fatalistisches, mythisches Verständnis von Macht aus, das wohl in vorkoloniale Zeiten zurückreicht und durch Figuren wie Mobutu, Houphouët-Boigny oder Kenyatta zelebriert wurde. Bis heute wird Kritik an den Chefs oft als anmassend, respektlos und «unafrikanisch» abgekanzelt. Ambitionierte Junge wählen gemeinhin die Emigration, um dieser Beengung zu entkommen.
Vor diesem Hintergrund markieren die Ereignisse in Burkina Faso einen bedeutenden Bruch.
Neue Zürcher Zeitung, 20.11.2014, David Signer
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